Dunkel Dreckig

Reudnitz

Der etwas andere Stadtteilblog.

Interview mit den Machern der Stadtteilexpedition


Auf einmal steht eine Kaffeetafel im Lene-Voigt-Park. An ihr sitzen Antje Rademacker und Diana Wesser. Die beiden tauschen Kuchen gegen Geschichten aus und über Reudnitz.

Für ein Interview hatte ich leider keine Zeit, deshab wollte ich das ganz schnell über eine Facebook-Gruppennachricht machen. Das ist dann ein bisschen - nunja - ausgeartet. Das Ganze ist ein spannendes Projekt, falls ihr also keine Zeit für das viel zu lange Interview habt, solltet ihr einfach auf der Homepage vorbei schauen.

Stellt euch bitte kurz vor.

Antje:
Wir sind Diana Wesser und Antje Rademacker. Diana ist freischaffende Künstlerin und Antje kommt eher aus dem Bereich Theaterwissenschaft/ Veranstaltungsmanagement.
Gemeinsam kamen wir vor ein paar Jahren auf die Idee zu den Leipziger Stadtteilexpeditionen.



Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?

Antje: 
Es gibt mehrere Überlegungen/Ereignisse, die am Ende darin gründeten:
Zum einen bin ich im Winter 2010 auf die Eisenbahnstraße gezogen, zuvor hatte ich lange in Schleußig gewohnt. Viele meiner Freunde, inklusive Diana reagierten verständnislos oder sogar entsetzt: "Das ist soweit weg!", "Was willst du denn da?", "Da ist doch nichts", "Da ist es doch gefährlich...."

Als Diana mich dann endlich besuchen kam, war sie sehr überrascht, wie sehr sie die Gegend an ihre Heimat Stuttgart erinnerte. Auch ich, ich komme aus Bremen, fühlte mich schnell heimisch.
Damit zusammenhängend fanden wir dann schnell die übertrieben positive Berichterstattung in Bezug auf den Westen und die negative in Bezug auf den Osten enervierend.
Wir haben uns dann hingesetzt und eine Karte von Leipzig gezeichnet. Alle Stadtteile aus dem Kopf und was wir mit denen assoziieren – negatives wie positives, alle Vorurteile und Klischees inklusive. Was uns dabei am meisten überrascht hat, war wieviel weiß geblieben ist.
Sowohl Diana als auch ich arbeiten viel im Ausland und wir empfanden Leipzig immer als total klein. Und auf einmal fällt uns auf, wie groß die Stadt eigentlich ist.
Und in all den "weißen" Stadtteilen leben auch Leute und die haben auch ihre Gründe, warum sie dort sind.
Und das wollen wir gerne rausfinden
Die ersten Expeditionen habt ihr in der Eisenbahnstraße gemacht. Was habt ihr dort rausgefunden? 

Diana:

Ganz kurz noch zur Idee: das die Eisenbahnstraße wie Stuttgart sei, stimmt natürlich nicht ganz… aber ich habe diese internationalen Lebensmittelläden schon immer sehr vermisst in Leipzig und dieses durcheinander vieler Kulturen. Das kannt ich eben aus Stuttgart.
Die Frage, was wir rausgefunden haben auf der Eisenbahnstraße, würde einen ganzen Roman ergeben. Vielleicht kann man zusammen fassend sagen: die Vorurteile haben sich größtenteils nicht bestätigt. Es gibt unglaublich viele verschiedene Menschen dort, viele verschiedene Gruppierungen, die sich teilweise kaum kennen, wenig Berührungspunkte haben. Es gibt viel Pioniergeist, sehr viel Idealismus und das ist positiv gemeint. Viele Projekte arbeiten ganz bewusst mit der Nachbarschaft und wollen diese mit gestalten.
Antje:Was sich für mich persönlich ergeben hat, das kann für Diana ganz anders sein, zeichnet sich eigentlich im Thema unserer letzten Veranstaltung dort ab: Sehnsucht. Diana:  Oh ja, die Sehnsucht… Antje:
Auf der Eisenbahnstraße leben soviele diverse Gruppen, die eigentlich alle recht offen sind, bzw. das glauben und aber dennoch nicht miteinander kommunizieren.
Es gibt die alteingesessenen "Deutschen", die alteingesessenen "Ausländer", die neuzugezogenen Studenten, die Flüchtlinge ...
und alle verbindet eigentlich ihr wunsch nach einem besseren Leben, nach der Verwirklichung ihrer Träume etc.
Diana:Verbunden mit der Sehnsucht ist bei vielen auch eine Angst. Die Angst davor, viel zu schnell alles wieder aufgeben zu müssen, was sie dort gerade aufbauen. Antje: Genau: Sehnsüchte und Ängste .Diana: Dabei ist Angst ja das große Thema der Eisenbahnstraße, vor allen Dingen in den Medien. Dabei ist das dann ja eine ganz andere Angst. Antje: 
nächste Frage bitte 
Diana: 
Sonst hören wir nicht auf davon zu erzählen 

Ok ok
Eure aktuelle Expedition findet gerade in Reudnitz statt. Sind euch schon erste Unterschiede aufgefallen?

Diana:
Ja, das war recht schnell deutlich zu spären. Einerseits ist hier die Sorge vor Gentrifizierung viel lauter. Andererseits sind die Leute hier scheinbar besser vernetzt. Ich schreibe 'scheinbar' weil wir ja noch ganz am Anfang unserer Recherche stehen und das eben mein erster Eindruck ist.
Antje:

Für mich fühlt sich der Stadtteil älter an. Nicht im Sinne des Alters der Einwohner, sondern eben wie Diana grad meinte, im Sinne der Vernetzung.
Die Strukturen fühlen sich gefestigt an, viele leisten hier seit Jahrzehnten Viertelarbeit und gerade die "Entnazifizierung" des Viertels hat sicherlich viele zusammengeschweißt.Diana: 
Ja, das mit dem Alter geht mir genauso.
Gestern erzählte mir übrigens eine junge Mutter, dass sie aus der Eisenbahnstraße weggezogen ist, als sie ihr ersten Kind bekam und dort immer Krach und Ärger im Haus und ihrer Wohnumgebung war. Und dass sie das jetzt hier total genießt, dass es so total normal ist. 
Jedenfalls treffen wir hier sehr viele Leute, die uns begrüßen mit Sätzen wie: "meine Nachbarin meinte, ich soll unbedingt vorbei kommen" oder "mein Kumpel schickt mich".
Antje:
Genau. Normalität ist auch ein gutes Stichwort. Neben all den Versuchen, Reudnitz als hartes Pflaster darzustellen, ist mir auch vor allem die Alltäglichkeit (das ist positiv gemeint) aufgefallen. Auf der Eisenbahnstraße wirkte es doch oft noch angestrengter und hyperaktiver. Halt jünger.

Total normal? Was ist denn euer persönlicher Eindruck von Reudnitz?

Diana:
Naja, was heißt schon normal? Das müsste man dann erst mal definieren.
Ganz spontan würde ich sagen ja, irgendwie schon. Mal abgesehen vom Hulk, der hier sein Unwesen treibt.
Antje:
Mein persönlicher – wohlgemerkt erster – Eindruck von Reudnitz: Die Leute gehen ihrer Arbeit/Projekten nach, und wenn dies Boulespielen im Park ist. Man ist grundsätzlich interessiert und offen, wenn auch erstmal skeptisch. Martin zu kennen öffnet einem viele Türen. Genau wie David Glowka. 
Die großen Dramen sind bisher an mir vorbeigegangen, wenn es sie denn gibt.
Jetzt werde ich ja fast rot.  

Antje:
Pink – die Farbe der Reudnitz-Expedition 
Apropos gehen: Ihr veranstaltet gerade "Reudnitz intim" Touren. Was kann man sich darunter vorstellen?  

Antje:

Die Idee dazu kam auf zweifachem Wege: bei der Titelfindung für unsere erste Reudnitz-Expedition kamen wir schnell auf Reudnitz intim – frag mich nicht warum. Und diesen Titel wollten wir nicht fallen lassen, aber fanden ihn auch zu suggestiv für die große Überschrift.
Zum anderen sind wir immer auf die Hilfe der AnwohnerInnen angewiesen um ein Gespür für den Stadtteil zu bekommen. Und persönlich geführte Touren entlang der Orte der Führenden fanden wir ein spannendes Konzept.
Im Grunde bewegen wir uns ja durch die Stadtteile wie Touristen im Ausland: Tips von Einheimischen die einen zu ihren Lieblingsorten mitnehmen sind einfach die besten.

Am Samstag ist das große Finale. Erzählt mir davon.
Diana: 
Ja, wir laden zur vierten Leipziger Stadtteilexpeditionen "Kontaktaufnahme Reudnitz".
Antje: 
Wir erstellen eine Stadtplan, den man sich dann um 13 bzw. 17 Uhr bei uns im Espresso Zackzack abholen kann. Auf dem Plan sind dann die Orte markiert, an denen man Leute aus dem Viertel treffen kann. Dies sind Läden, Einrichtungen aber auch Privatpersonen. Z.b. Boule-spielen im Park mit Devin, sprecht mit Frau Budiaki im Chizenga über die Chancen der kulturellen Vielfalt, Zwitschertrinkstrohhalme bei Annett, vielleicht betreutes Trinken im Park mit Martin (!?) oder "Kekse backen!?" mit David Glowka.... etc. pp. 
Diana: 
Es geht darum, sich selbst ein Bild von diesem Stadtteil zu machen. Und darum, wie seine BewohnerInnen ihn sehen. Wir bieten die Möglichkeit, mit den Menschen hier ins Gespräch zu kommen. Und andersrum auch, sich selbst einzubringen, nach Reunitz einzuladen… 
Antje: 
Die Besucher haben dann jeweils 3 Stunden Zeit und bewegen sich selbständig (nicht in geführten Gruppen) und nach eigenem Wunsch durch das Viertel – erkunden es eben. 
Diana: 
Es geht um Begegnungen und Entdeckungen: auf der Karte sind auch viele Orte markiert, die uns von den Menschen hier als besonders bemerkenswert genannt wurden. Außerdem finden sich zu den Begegnungen kurze Hinweise, was einen dort erwartet, wen man da treffen kann, worüber er oder sie sprechen möchte oder zu was er euch einlädt… eine Art Türöffner eben, damit das Gespräch los gehen kann. Was dann passiert, liegt an jedem selbst… 
Wichtig ist eben, dass man alleine durchs Viertel stromern kann. Die Expeditionen sind KEINE geführte Tour. Das kann man gar nicht oft genug betonen…
ede/r entscheidet selbst, wen er treffen, was er erleben oder entdecken möchte, wie lange er (oder sie) wo bleiben möchte. Jede/r erlebt also ganz individuelle seine Tour. Die 'Gastgeber' entscheiden das natürlich auch selbst. Sie gestalten ihre 'Stationen' nach eigenem Belieben und entscheiden eventuell auch, wenn jemand lang genug da war. Das liegt dann nicht mehr in unserer Hand.  

An wen richten sich die ungeführten Touren? 

Antje:
An alle, die ein Interesse haben, Reudnitz kennenzulernen, bzw. dann später auch andere Viertel. Das können also Leute aus anderen Stadtteilen sein, aber auch ReudnitzerInnen selbst.
Diana: 
Und an Menschen, die gern mit neuen Leuten in Kontakt kommen möchten, die ihr eigenes Bild von Leipzig hinterfragen und sich überraschen lassen möchten.
Nicht umsonst fragen wir ja: Kennst du deine Stadt?

Was wird bleiben, wenn die Expedition vorbei ist?

Antje:
Geplant sind zunächst noch zwei weitere Expeditionen in Reudnitz, im November und im Frühjahr. Danach ziehen wir weiter. Was bleibt ist zum einen ein erweiterter mentaler Stadtplan im Kopf jeder/s Teilnehmers/in zum anderen ergeben sich natürlich auch unter den Reudnitzer Teilnehmenden Kontaktmöglichkeiten bzw. Synergieeffekte. Unsere Arbeit speichern wir auf unserer Webseite wo sie auch langfristig abrufbar bleibt und wir denken auch über Publikationsformate nach – das ist aber nur eine Idee bisher. Was bei der Eisenbahnstraße auch übrig geblieben ist, sind Ideen von Akteuren dort, die auf unseren Ideen fußen und weiter entwickelt werden. So soll es dort nun für Neuankömmlinge im Stadtteil geführte Touren von Anwohnern geben, bzw. die persönliche Form der Kontaktaufnahme wird in andere Projekte übernommen. 
Aber eigentlich arbeiten wir ergebnisoffen – dafür verstehen wir uns dann doch als Kunstprojekt.
Diana:  
Ha!
Außerdem wird es vielleicht einen Audiowalk geben. Für die Eisenbahnstraße gibt es den schon und er heißt - passenderweise - "Sehnsucht Eisenbahnstraße".

Vielen Dank für das Gespräch. Ich wünsche euch viel Erfolg.
 

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Hi, ich bin Martin von Dunkel. Dreckig. Reudnitz. Seit ein paar Jahren lebe ich schon in diesem ganz besonderen Stadtteil. Warum also nicht darüber schreiben?

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